Die Kunden haben ihre Ansprüche verändert. Sie erwarten nicht mehr allein technische Qualität, sondern auch echte Dienstleistung und unkomplizierte Zusammenarbeit. Wer sich zu einseitig nur auf die weitere Technisierung seines Betriebs konzentriert, kann mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Der Erfolg der Zukunft wird sehr viel stärker durch die Mitarbeiter und ihr Verhalten beeinflusst.
Die Betriebe der Druckbranche stehen erneut vor einem tiefgreifenden Wandel. Schon in der Vergangenheit wurde dieser Wirtschaftssektor immer wieder von teilweise sehr kostenintensiven Innovationsschüben erfasst.
Bislang stand die Technik im Vordergrund
Die Herausforderungen der letzten Jahrzehnte waren vorwiegend technologischer Art. Das Management konzentrierte sich auf die Beschaffung und Integration neuer Maschinen, deren interne Vernetzung sowie die Organisation des Datenhandlings. Hinzu kamen die betriebliche Vorbereitung zahlreicher Zertifizierungen sowie die Optimierung von Logistik und Einkauf. Die Möglichkeiten des Internets und die Gestaltung neuer Geschäftsfelder beschäftigten die Verantwortlichen ebenso wie die Chancen und Grenzen des Digitaldrucks.
Dieser technikzentrierte Veränderungsprozess steht nun vor dem Abschluss – auch, weil er allmählich an seine Grenzen stößt.
Das Innovationstempo ist nicht überall gleich
Aber nicht alle Betriebe haben diesen Innovationsprozess bereits durchlaufen. Je nach Entwicklungsstand lassen sich vier Gruppen unterscheiden:
Betriebe der Gruppe 1: Die Herausforderungen an technologische Innovation und Prozessgestaltung wurden rechtzeitig erkannt. Die damit verbundenen Projekte sind abgeschlossen. Die daraus folgenden Produktivitäts- und Wettbewerbsvorteile werden realisiert. Es stellt sich bereits die Frage nach dem nächsten Schritt, der aber einen völlig anderen Fokus hat: Menschen mit ihren Bedürfnissen, Gedanken und Gefühlen, als Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten.
Betriebe der Gruppe 2: Die technologisch orientierten Themen wurden aufgenommen. Einige Projekt sind bereits in Arbeit. Der Veränderungsprozess wird in den nächsten ein bis zwei Jahren seinen Abschluss finden. Fragen nach dem Umgang miteinander und der Qualität der Kooperation mit Kunden und Mitarbeitern stehen noch eher im Hintergrund.
Betriebe der Gruppe 3: Die Technik-Themen werden immer noch diskutiert. Die Entscheidungsfindung wird durch Zweifel und ungeklärte Grundsatzfragen belastet. Die wirtschaftlichen Ergebnisse lassen nur bedingt Investitionen in Innovation zu. Das Management beschäftigt sich immer wieder neu mit den technischen Optionen. Substanzieller Erkenntniszuwachs und systematische Entscheidungsvorbereitung finden dabei eher nicht statt. Das betriebliche Klima ist davon sehr stark geprägt.
Betriebe der Gruppe 4: Diese Unternehmen sehen sich in einer existenziellen Nische. Hier wird nicht mehr über Entwicklungsperspektiven gesprochen, sondern nur noch ums Überleben gekämpft. Und dies teilweise mit abenteuerlich anmutenden Preiskalkulationen. Dass die Nische zeitlich begrenzt ist, wird in der Regel nicht wahrgenommen. Geplant wird hier eher in Wochen- und Monatsübersichten, allenfalls in Quartalsdimensionen. Grundlegende Themen wie das der Mitarbeiterführung und der betriebswirtschaftlich fundierten Kostenrechnung finden ebenso wenig Beachtung wie eine kluge Marktbearbeitung oder gesamtbetriebliche Weiterentwicklung.
Die Frage nach dem nächsten Schritt
Zu jeder verantwortlichen Unternehmenssteuerung gehört das Risiko-Management. So gilt es sich heute schon intensiv mit den folgenden Fragen auseinanderzusetzen: Was tun, wenn der technisch geprägte Wandel abgeschlossen ist? Auf welche Kraft muss die Innovation nun fokussieren, um weiterhin die Früchte von Produktivität und Wirtschaftlichkeit ernten zu können? Können technisch ausgebildete und von der Technik faszinierte Führungskräfte ihre Wahrnehmung auf die menschlichen Belange der Mitarbeiter und der Kunden richten? Das ist eine existentielle Herausforderung, um aus der Sackgasse der betrieblichen Vergleichbarkeit zu entkommen und sich Alleinstellungsmerkmale der besonderen Art zu schaffen.
Eine Folge der technischen Innovation: Die Betriebe werden – auch für die Kunden – immer ähnlicher.
Schon in naher Zukunft wird die Situation so aussehen: Zahlreiche Betriebe bieten vergleichbare, wenn nicht sogar die gleichen Druckerzeugnisse an. Art und Aufwand der Produktion unterscheiden sich nur noch marginal. Durch das Erreichen des Kosten minimierenden Grenzwerts technischer Neuerungen sind auch die Preise nahezu die gleichen. Die betrieblichen Prozesse entsprechen sich, und mit ihnen die Qualifikation sowie Arbeitsweise der Mitarbeiter.
Aber auch der depressive Gemütszustand und die mehr oder weniger latente Angst der Betriebsangehörigen wird dann kein Einzelfall mehr, sondern schon Standard sein. Denn noch ist kein Ende des Kostendrucks abzusehen, und genau so wenig ein Ende des Irrglaubens, nur der Günstigste könne überleben. Es bleibt jedoch nur noch eine einzige Kostenvariable übrig: die der Personalkosten. Das Spiel mit ihr droht sich künftig noch stärker als heute im innerbetrieblichen Umgang mit den Mitarbeitern widerzuspiegeln.
Vom Innovationsrausch zum Alptraum
Konsequent zu Ende geführt, steht dieser Zukunfts(alp)traum für eine entmenschte Fabrik, in der Maschinen die Steuerung übernommen haben. Eingehende Aufträge werden programmgestützt bearbeitet und Computer überwachen die Qualität der Druckerzeugnisse.
Können dann noch Kunden gewonnen und begeistert werden?
Können die Betriebe der grafischen Industrie und des Handwerks so wirklich überleben?
Sich mit diesen Szenarien auseinanderzusetzen, erfordert nicht nur Mut, sondern auch Verantwortung und Weitsicht.
Ein paar gewagte Thesen
Der Gegenentwurf zum rein funktional durchtechnisierten Produktionsbetrieb ist von menschlichen Qualitäten geprägt: Hier arbeiten die Mitarbeiter gerne und mit Begeisterung. Die Führungskräfte wurden so sorgfältig ausgewählt und qualifiziert, dass sie mit den Menschen nun in wertschätzender und fairer Weise umgehen. Konflikte werden kooperativ bearbeitet. Das große Potenzial der Mitarbeiter fließt in die Team- und Organisationsentwicklung ein. Im Betrieb wird aufgeschlossen mit Fehlern umgegangen – man lernt aus ihnen und vermeidet sie dann. Jeder Einzelne trägt dafür Sorge, dass die Kunden gerne anrufen und ebenso gern ihre Aufträge hier platzieren. Denn die Zusammenarbeit sorgt auf beide Seiten für positive Erlebnisse. Der Kunde erlebt und fühlt, dass die Mitarbeiter für ihn da sind, dass er mit seinen Bedürfnissen wahr- und ernst genommen wird.
Der Paradigmenwechsel im Management und in der Führung: von der Technik zum Menschen
Aussichtsreiche Perspektiven wie diese stehen für einen der bedeutendsten Paradigmenwechsel in der Geschichte der Druckbranche. Die Technik, so faszinierend und erforderlich sie auch ist, darf nicht zum Fetisch oder zum Selbstzweck werden. Auch deshalb nicht, weil sie allein uns schon sehr bald das Überleben nicht mehr sichern können wird.
Ab sofort geht es um den Menschen. Er steht im Mittelpunkt einer erfolgreichen unternehmerischen Zukunft. Denn es sind die Menschen, die technische Hilfsmittel nutzen, kommunizieren und kooperieren. Sie bewerten, entscheiden, gestalten, lernen, schaffen Verbindungen und bauen Beziehungen auf. Sie bringen ihre Qualifikationen und Ideen ein und entwickeln sich weiter. Nur der Mensch kann auf Veränderungen bei den Kunden und im gesamten Markt kreativ reagieren. Keine Technologie vermag sich sinnvoll mit den bestehenden oder neuen Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden auseinanderzusetzen und rechtzeitig angemessen darauf zu antworten.
Voraussetzungen für den Erfolg von Innovation
Dieser Wandel kann sich nur in einem Umfeld vollziehen, in dem sich der Mensch nicht als zeitlich geduldeter Kostenfaktor erlebt. Mensch sein und als solcher erfolgreich wirken zu dürfen, ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Die unternehmerische Zukunftsplanung und die Wagnisanalyse werden sich auch die folgenden Fragen stellen müssen:
- Wie gehen wir miteinander und mit den betrieblichen Mitteln um?
- Wie kommunizieren wir?
- Wie arbeiten wir zusammen?
- Wie lösen wir unsere Konflikte?
- Wie fühlen wir uns während der Arbeit?
- Wie werden Führungskräfte rekrutiert und welche Qualifikationen haben sie?
- Wie denken wir über unsere Arbeit und unser Verhalten nach?
- Wie lernen wir aus unseren Fehlern?
- Welchen Stellenwert hat Weiterbildung in unserem Betrieb?
- Welches Selbstverständnis als Person, als Team und als Betrieb haben wir in unserer jeweiligen fachlichen Rolle?
- Wie reden wir über unseren Betrieb mit anderen?
- Wie gehen wir mit unseren internen und externen Partnern um?
- Und nicht zuletzt: Wie erlebt uns der Kunde?
Sich die Bedeutung dieser Fragen bewusst zu machen, führt zur Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und der betrieblichen Kultur. Erkenntnis allein befähigt jedoch noch nicht zur Entwicklung. Dazu sind außerdem unternehmerischer Weitblick, Geduld und die entschlossene Bereitschaft nötig, gemeinsam etwas für die Zukunft zu unternehmen. Etwas, das nicht auf den vertrauten Themenpfaden liegt: die Schaffung eines attraktiven Betriebs und einer motivierenden, inspirierenden Unternehmenskultur für Mitarbeiter und Kunden. Darin liegt das Potenzial, sich vom Mitbewerber wirklich positiv zu unterscheiden und auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Der gegenwärtige Wettbewerb besteht genau darin, welche Betriebe sich dieser Verantwortung am schnellsten stellen und einen entsprechenden betrieblichen Kulturwandel einleiten.